Ökostrom ist 'ne Mogelpackung

Oft begegnet mir die Aussage “Kauf Ökostrom!”. Das ergibt vordergründig natürlich auch Sinn — wer grünen Strom kauft, zahlt etwas mehr und tut was gegen den Klimawandel, klingt also genauso wie der Aufpreis für Biolebensmittel. Aber leider funktioniert das Stromnetz nicht so, und man kann sein Geld viel sinnvoller in Sachen Klimaschutz nutzen. Ein Versuch, das Warum und Wieso zu erklären.

Windkraftanlagen

Welcher Strom kommt eigentlich aus der Steckdose?

Wenn ich Strom aus einer Steckdose entnehme, dann wird dieser Strom im selben Augenblick an anderer Stelle ins Stromnetz eingespeist. Es gilt:

$$ \sum Verbraucher = \sum Erzeuger $$

Und zwar zu jedem Zeitpunkt! Falls dieses Gleichgewicht gestört wird verändert sich die Netzfrequenz. Das genaue Warum und Wie hab ich schon einmal im Rahmen eines Vortrags dargestellt.

Diese physikalische Notwendigkeit hört sich simpel an, hat aber eine wichtige Konsequenz: Jeder Verbraucher bekommt exakt den Strommix, den die Erzeuger im selben Moment einspeisen. Wenn gerade nur wenig grüner Strom erzeugt wird, dann bekomme ich auch mit einem Ökostrom-Vertrag zum Beispiel viel Kohlestrom. Oder umgekehrt: Mit einem normalen Stromvertrag werde ich mit viel grünem Strom beliefert, sobald eben viel grüner Strom im Netz ist.

Am 24.02.2021 zum Beispiel schwankte der Anteil der erneuerbaren Energien im Deutschen Stromnetz wie in dieser Abbildung:

Anteil Ökostrom

Um die Mittagszeit sorgte überwiegend die PV-Erzeugung für einen relativ hohen Grünstrom-Anteil. Aber auch um Mitternacht war viel Grünstrom im Netz — ich würde vermuten, das die Windkraftanlagen diesen Strom erzeugt haben. Alles, was bis zur 100 Prozent-Marke fehlt, wird mit konventionellen Kraftwerken erzeugt. Dabei ist über die Merrit Order an der Strombörse sichergestellt, das zunächst alle Grünstromerzeuger ins Stromnetz einspeisen dürfen und die konventionellen Kraftwerke nur den Rest erzeugen können. Zumindest, wenn man Redispatch-Massnahmen aus Gründen der Netzstabilität außen vor lässt.

Die Konsequenz ist also: Je nachdem, wann ich Strom verbrauche, bekomme ich einen unterschiedlichen Strommix — und bin damit auch für unterschiedliche Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Vollkommen unabhängig davon, ob ich einen Ökostrom-Anbieter gewählt habe, oder eben nicht.

Was ist dann eigentlich Ökostrom?

Schwierige Frage, weil die Berechnung der “Grünstromeigenschaft” kaum nachvollziehbar ist. Das Hamburg Institut schreibt in einer Studie im Auftrag des Ökostromanbieters Lichtblick:

Im Vergleich der bestehenden und der zukünftigen Stromkennzeichnung wird deutlich, dass die bestehende Stromkennzeichnung in keiner Weise das Beschaffungsverhalten der Stromvertriebe wiedergibt. Selbst Unternehmen, die keinerlei Strom aus erneuerbaren Energiequellen einkaufen, weisen einen überwiegend grünen Strommix auf.

Hamburg Institut, 'Die Neuregelung der Stromkennzeichnung'

Sprich: Die Kennzeichnung hat nicht wirklich etwas mit der realen Stromherkunft zu tun. Rein technisch gibt es ja auch keinen Unterschied zwischen Öko- oder anderem Strom. Der Unterschied ist ein rein juristischer, das Umweltbundesamt beschreibt die Kennzeichnung von Strom aus erneuerbaren Energien wie folgt (Quelle, dort S. 73):

Die Ausweisung von Strom aus erneuerbaren Energien im Rahmen der Stromkennzeichnung kann [..] nur auf drei Arten erfolgen:

  • Erneuerbare Energien, die eine Förderung nach dem EEG erhalten, […]
  • Erneuerbare Energien, die in Deutschland keine Förderung erhalten, anhand von Herkunftsnachweisen.
  • Als Auffanglösung: „Pauschaler“ Anteil anhand des bereinigten ENTSO-E Energieträgermixes für Deutschland.

Martkanalyse Ökostrom II des Umweltbundesamts

Eine “grüne Kilowattstunde” stammt also entweder aus einer EEG-geförderten Anlage, oder es gibt eine mengenmässige Verknüpfung der die Kilowattstunde mit einen sogenannten Herkunftsnachweis (HKN). Wohlgemerkt: Gerade im letzten Fall bedeutet das nicht unbedingt, das diese Kilowattstunde auch grün erzeugt wurde, und das ist ein wichtiger Unterschied.

Anhand eines Beispiels versteht man am Einfachsten, was so ein HKN ist. Angenommen, meine Freiflächen-Photovoltaik wird nicht EEG-gefördert und produziert diesen Monat genau eine Megawattstunde. Dann kann ich beim Herkunftsnachweisregister eine Urkunde für diese Megawattstunde eingespeisten Stroms bekommen (geregelt in der Herkunfts- und Regionalnachweis-Durchführungsverordnung (HkRNDV)):

“Auf Antrag des Anlagenbetreibers stellt die Registerverwaltung einen Herkunftsnachweis pro netto erzeugter Megawattstunde Strom aus erneuerbaren Energien aus und verbucht ihn auf dem Konto des Anlagenbetreibers, dem die Anlage zugeordnet ist […]”

HkRNDV § 12

Diese wiederum kann ich dann über einen Handelsplatz wie z.B. die Strombörse in Leipzig wieder verkaufen — zu einem Preis, den eben der Markt regelt. Oder ich verkaufe den HKN direkt an einen Ökostromanbieter. Dieser kauft Herkunftsnachweise, um genügend “grünen” Strom für seine Kunden nachweisen zu können.

Hier gibt es nun zwei Probleme. Erstens bezieht sich der Herkunftsnachweis auf eine Energiemenge im betreffenden Monat und nicht auf die Leistung, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ins Stromnetz eingespeist wurde. Selbst wenn ich daheim einen Ökostromvertrag habe: Der Strom entspricht genau dem, was physisch in dem Moment des Stromverbrauchs im Netz eingespeist wurde. Rein bilanziell beziehe ich im Monat eine Strommenge, für die es entsprechende Herkunftsnachweise gibt. Ob das eher grüner oder eher gelber Strom ist, kann ich daraus allerdings nicht ablesen.

Das zweite Problem besteht darin, das man die Herkunftsnachweise international handeln kann. Dazu sagt die HkRNDV:

“Die Registerverwaltung erkennt auf Antrag der in das Inland übertragenden registerführenden Stelle einen Herkunftsnachweis für Strom aus erneuerbaren Energien aus Mitgliedstaaten […], wenn keine begründeten Zweifel an der Richtigkeit, der Zuverlässigkeit oder der Wahrhaftigkeit des Herkunftsnachweises bestehen.”

HkRNDV § 32 (1)

Sagen wir einmal ich besitze einen Stausee mit einem Pumpspeicherkraftwerk in Norwegen. Dann könnte ich meinen Stausee mit preiswertem Nachtstrom füllen und tagsüber teurer verkaufen. Zusätzlich lasse ich mir aber für jede Megawattstunde Erzeugung noch einmal einen Herkunftsnachweis ausstellen, den ich dann an Ökostromanbieter verkaufen kann — Wasserkraft ist schließlich regenerativ! Die Krux daran: Ich hab meinen Stausee aber mit Strom gefüllt, der dem Strommix zum Zeitpunkt des Füllens entspricht. Das könnte theoretisch also 99 % erneuerbarer Strom sein, aber auch 99 % Kohlestrom.

Beide Argumente verschweigt das Umweltbundesamt leider in seinem Erklärbärvideo, das ansonsten echt gut gemacht ist und den Mechanismus der Herkunftsnachweise darstellt. Immerhin: Mein zweiter Kritikpunkt ist auch für das Umweltbundesamt ein Thema und sie haben ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben. In der Länderprüfung für Norwegen heißt es in diesem Dokument:

Norway uses […] the national residual mix instead of the overall fuel mix of the supplier company. […] Both neglection of the supplier’s overall fuel mix and the restricted provision only on NVE’s website is not in line with the requirements in Article 3(9) Directive 2009/72/EC.

Summary of the assessment ...

Mein obiges Szenario des norwegischen Pumpspeicherkraftwerks ist also nicht an den Haaren herbeigezogen: Es wird der norwegische Strommix als Nachweis der Stromquelle herangezogen, nicht der tatsächliche Strommix zum Zeitpunkt des Füllens des Stausees.

Ökostrom bringt nix fürs Klima

Es passt einfach nicht zusammen: Auf der einen Seite sagt die Physik eindeutig, das es auf den Zeitpunkt des Verbrauchs ankommt, welchen Strom ich als Verbraucher bekomme. Andererseits ist da ein Handelssystem, das von der Zeitkomponente vollkommen losgelöst ist. Außerdem setzt der Handel mit Herkunftsnachweisen auch voraus, das es niemals Engpässe für den Stromtransport in Europa gibt. Auch das ist, gelinde gesagt, naiv.

Ich persönlich habe deshalb keinen Ökostromtarif gewählt. Die derzeitigen grünen Erzeuger werden sowieso schon über die EEG-Umlage bezahlt. Genau genommen gleicht die EEG-Umlage die Differenz zwischen Stromgestehungskosten der Anlage und dem normalen Marktpreis im Rahmen der Merrit Order aus. Diese Umlage bezahlt jeder Stromkunde (bis auf die größten Abnehmer, die kurioserweise ausgenommen werden). Warum sollte ich also doppelt bezahlen? Es ist ja auch nicht so das mehr Ökostrom ins Netz kommt, wenn mehr Nachfrage danach gegeben ist. Da die Stromgestehungskosten für PV- und Windanlagen derzeit die niedrigsten sind werden sowieso immer mehr Anlagen gebaut. Die Bevorzugung durch die Merrit Order sorgt zusätzlich dafür, das der Strom prinzipiell zuerst verkauft werden muss.

Strommast im Wald

Noch schlimmer: Wer einen Ökostrom wählt sorgt nicht dafür, das unser Stromnetz auch tatsächlich so ausgebaut wird, wie es für den Transport des Grünstroms notwendig wäre. Ökostrom ist ja normaler Strom, der zusätzlich einen elektronischen Herkunftsnachweis hat. Der tatsächliche Stromfluss ist ein anderer: Rein physikalisch werde ich eben immer aus einer “nahen” Stromquelle versorgt, egal, welches Kraftwerk da nun steht. Wenn man Grünstrom ehrlich umsetzen wollte wäre es notwendig, auch die entsprechenden Leitungen für einen Stromtransport z.B. aus Norwegen vorzusehen. Ansonsten laufen wir in massive Engpässe, sobald die letzten konventionellen Kraftwerke abgeschaltet sind.

Man sieht das schon heute: Viele Windkraftanlagen werden abgeschaltet, obwohl sie eigentlich produzieren könnten. Die Leitungskapazitäten sind nicht da, weshalb sie von der Netzleitwarte runtergefahren werden. Das kostet doppelt: Einerseits laufen in der Regel konventionelle Kraftwerke weiter, andererseits muss der Betreiber der Windkraftanlage entschädigt werden. Die Entschädigung wiederum bezahlen die Stromverbraucher über die Netzentgelte. So gesehen schädigt die Nutzung von Ökostromtarifen also die Energiewende, weil an der Netzinfrastruktur kein angemessener Bedarf entsteht.

Und was mache ich nun?

Natürlich kann man nun argumentieren das man doch einen “echten” Ökostromanbieter wählen kann, einen, der eben selbst Anlagen baut und aktiv ist. Kann man machen, aber ich habe meine Zweifel, ob mein Geld dann auch wirklich zu mehr grünem Strom führt. Die energiewirtschaftlichen Zusammenhänge sind zu komplex, als das ich das wirklich zuverlässig einschätzen könnte.

Die transparentere — und auch lukrativere — Option ist daher, einer Bürgerenergiegenossenschaft beizutreten: Einfach selbst eine Anlage mitbauen, ein kleines Stück einer Windkraftanlage besitzen. Diesen Weg habe ich gewählt, und so bleibt für mich auch nachvollziehbar, das mein Geld wirklich einen positiven Effekt auf die Energiewende hat.

Im Nachklang

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