Werkzeugbau mit dem 3D-Drucker: Tiefziehformen

Das Tiefziehen von Kunststoffen wird hauptsächlich zur Herstellung von billigen Verpackungen benutzt. Eine Kunststoffplatte wird erhitzt, wird weich, und wird dann über eine Form gelegt. Die Luft zwischen Platte und Formteil wird evakuiert. Dann kühlt der Kunststoff ab und behält seine Form bei. Ein Joghurtbecher ist meistens ein aus Polystyrol tiefgezogenes Teil.

Im Hobbybereich nutzen Modellbauer die Technik des Tiefziehens schon lange, um z.B. glasklare Kabinenhauben für Modellflugzeuge zu bauen. Die dazu notwendige Vakuumquelle ist meistens ein Staubsauger, zum Erwärmen des Kunststoffs kommt meistens ein Backofen oder ein Elektrogrill zum Einsatz. Wer ein etwas ausgefuchsteres Modell sucht, wird bei Volpin Props (Prototyp) fündig.

Üblicherweise werden die Urformen aus Holz, Gips und Spachtelmasse gebaut. Das sind natürlich bewährte Herangehensweisen und daher wenig spannend. Ich wollte lieber meinen 3D-Drucker nutzen, um die Formen zu erstellen. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob eine gedruckte Form aus ABS auch geeignet ist, einen heißen Kunststoff zu formen.

Anders formuliert: Wird die Form weich, wenn ich heißen Kunststoff damit forme? Oder verkleben die Kunststoffe miteinander? Eine zentrale Kennzahl ist hierbei die Glasübergangstemperatur:

Die Glasübergangstemperatur ist die Temperatur, bei der Polymere (allerdings nur ganz oder teilweise amorphe Polymere) vom flüssigen oder gummielastischen, flexiblen Zustand in den glasigen oder hartelastischen, spröden Zustand übergehen, sie wird daher auch “Erweichungstemperatur” genannt.

Quelle: www.chemie.fu-berlin.de

Meine Frage kann also wie folgt umformuliert werden: Gibt es einen Kunststoff, der sich zum Tiefziehen eignet und gleichzeitig eine niedrigere Glasübergangstemperatur als ABS hat? Wikipedia meint:

WasGlasübergangstemperatur (Grad Celsius)
ABS105
Polystyrol95
PETG/Vivak67-81

PETG und Polystyrol sind beides Materialien, die von Modellbauern schon lange zum Tiefziehen eingesetzt werden und gut verfügbar sind. Zwischen PETG und ABS gibt es eine hinreichend hohe Temperaturdifferenz. Der Praxistest zeigt aber, das sich auch Polystyrol gut tiefziehen lässt. Hier kühlt wohl der Luftstrom des Staubsaugers beim Evakuieren des Tiefziehkastens den Kunststoff schnell genug ab.

Achtung: Relevant ist eigentlich die Schubmodul-Temperatur-Kurve der Kunststoffe untereinander. Die Glasübergangstemperatur markiert nur einen Punkt auf dieser Kurve. Es ist mir jedoch nicht gelungen, eine brauchbare Darstellung der Kurve für diese Kunststoffe zu finden. Sachdienliche Hinweise nehme ich gerne in den Kommentaren entgegen.

Der Tiefziehkasten

Ich habe mir für meine Experimente eine simple Kiste gebaut, die einen Anschluss für einen Staubsauger hat und so evakuiert werden kann. Als Anregung hat dabei die Anleitung von Thorsten Wieking gedient. Der Baumarkt hatte ein paar Reststücke MDF, hinzu kommt noch ein gewinkeltes HT-Rohr (40mm) sowie Schrauben und Silikon. Der Aufbau ist einfach:

Der dazugehörige Deckel hat in der Mitte eine erhöhte Plattform. Um diese wird später der Rahmen mit dem heißen Kunststoff gelegt. Die Löcher gehen durch den ganzen Deckel — sind aber hier zu groß gewählt. Viele, kleinere Löcher sind besser geeignet.

Durch großzügigen Einsatz von Sanitärsilikon werden alle Ritzen luftdicht verschlossen. Der obere Rand ist mit Fensterdichtband (“tesa Moll) abgedichtet. Der Deckel wird dann einfach oben aufgelegt und festgeschraubt.

Nachdem das Ganze zusammengebaut ist, fehlt noch ein Rahmen, um den Kunststoff einzuspannen. Für die ersten Experimente habe ich den Kunststoff einfach direkt in einen Rahmen aus MDF geschraubt:

Das Tiefziehwerkzeug

Eigentlich empfiehlt es sich, eine abgerundete, konvexe Form zu verwenden. Ich wollte aber ausprobieren, ob man auch feine Detaile und Kanten tiefziehen kann und habe daher ein kleines Pesthörnchen als Form verwendet:

Das Original ist als EPS bei schrutzki.net verfügbar. Der Import in Autodesk Inventor gelang mir nur nach einer Konvertierung nach DXF (pstoedit to the rescue!) und mit dem Inventor “2D to 3D Tool”. Die Rückseite des Pesthörnchens ist hohl, damit die Luft auch im Bereich der Augen und Zähne evakuiert werden kann:

Die Ergebnisse

Das Tiefziehen selbst ist relativ unspektakulär. Ich empfehle, Handschuhe zu tragen, denn heißes Plastik will man nicht auf der Haut haben.

  1. Rahmen mit eingespanntem Plastik in einen kleinen Pizzaofen. Der wird natürlich nicht mehr zur Zubereitung von Lebensmitteln benutzt.
  2. Wenn der Kunststoff weich ist und leicht durchhängt, Staubsauger an und den Rahmen auf die Tiefziehkiste drücken. Der Kunststoff wird gegen die Form gedrückt und ziemlich schnell hart.
  3. Staubsauger aus, und den Rahmen entnehmen.

Meistens hat sich der Kunststoff so dicht an die Form gelegt, dass man etwas Mühe hat, die Form wieder zu entnehmen. Ich konnte allerdings nicht beobachten, dass die Form angeschmolzen oder sich verformt hat — weder bei PETG noch bei Polystyrol. Wahrscheinlich kühlt der Luftstrom den Kunststoff recht stark: Im Ofen hat der Kunststoff bestimmt eine Temperatur über 150 Grad, jedenfalls deutlich oberhalb der Glasübergangstemperatur.

Der verwendete Staubsauger war leider recht schwachbrüstig. Mit einem saugstärkeren Modell wären die Ergebnisse bei dicken Materialien vermutlich besser geworden. Professionelle Tiefziehmaschinen evakuieren zuerst über eine Vakuumpumpe einen Vorratsbehälter, der dann auf einen Schlag über ein Ventil den Raum zwischen Kunststoff und Form evakuiert.

Die verwendete Dicke des Kunststoffs ist auch ziemlich entscheidend. Im Baumarkt habe ich mir Polystyrol mit 2mm Dicke (“Bastelglas”) gekauft. Diese ist jedoch ziemlich dick und bildet nur gröbere Formen ab:

Daraufhin habe ich mir dann Polystyrol und PETG in Dicken von 0.5mm und 1mm besorgt. Diese verhalten sich deutlich anders. Zunächst das PETG:

Es ist auf den Bildern etwas schwer zu erkennen, welche Details noch abgebildet werden konnten. Bei 0,5mm (oberes Bild) kommt eigentlich schon viel durch, allerdings werden z.B. die Zähne nicht abgebildet. Beim 1,0mm-Bild erkennt man, dass ich den Rahmen nicht richtig aufgesetzt hatte: Dieses Experiment muss ich bei Gelegenheit wiederholen.

Die beiden Polystyrol-Versuche sind aber ganz gut gelungen. Vor allem das 0,5mm-Material bildet fast alle Details des Pesthörnchens ab. Hier zeigt sich aber auch der Nachteil der großen Löcher meiner Vakuumkiste - in späteren Versuchen habe ich die nicht benötigten Löcher mit Klebeband abgedichtet. Mit vielen, kleineren Löchern wären die nicht zum Motiv gehörenden Vertiefungen nicht so deutlich zu sehen gewesen.

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